Welch ein Wiedersehen !

Wir fahren in die Heimat, nach Stolp.

Wir schreiben das Jahr 1965. Schon seit längerer Zeit dürfen deutsche Touristen nach Polen fahren. Was liegt also näher, den Familienurlaub im August im Ostseebad Zempin zu erweitern und für eine Woche in die Heimatstadt Stolp zu fahren. Über Pomellen / Kolbasco geht Heimatstadt Stolpes in Richtung Danzig, durch die Städte Naugard, Belgard, Köslin, Schlawe, nach Stolp. Nahezu unverändert sehe ich die Schlawer Straße wieder mit dem Restaurant Bergschlösschen zur Linken und der Bahnunterführung geradeaus,  von der ab es dann die Hospitalstraße bis zum Stephanplatz geht. Wie zum Gruß tauchen das Rathaus, Kaufhaus Zeeck und das Neue Tor in alter Pracht auf. Nach einer kurzen Verschnaufpause vor dem Rathaus gelangen wir über den Kaufmannswall zum KaufmannswallBahntor, wo wir im Hotel Franziskaner unser Glück um Quartier versuchen. Es klappt sogar damit, wir erhalten ein Zimmer, in dem wir zwei Erwachsenen – meine Frau und ich – und unsere beiden Töchter für die nächsten Tage unterkommen. Unser  Auto können wir vom Zimmerfenster aus auf dem Parkplatz gegenüber dem Hotel sogar sehen. Wie uns der Portier verrät,  wurden hier in den letzten zwei Jahren keine Autos mehr gestohlen. Am nächsten Tag zeige ich meiner Frau und meinen Kindern die Stadt, d.h. was von ihr noch übrig geblieben ist. Das ist sogar noch recht viel, obwohl die von den Russen 1945 entfachten Brände ganze Straßen um den Marktplatz herum in Schutt und Asche gelegt haben, so dass mir die Orientierung gar nicht leicht fällt. Lange Str., Paradies-Str., Mittel-Str. sowie die Häuser am Marktplatz fehlen ganz; in  der Neutor Str. sind keine Häuser stehengeblieben, die Marienkirche hat die Turmhaube verloren. Hier und da sieht man neue hässliche Wohnhäuser – aber auch sie können dem einstmals schönen Stadtkern kein geschlossenes Bild verleihen. Dennoch kann ich meinen Lieben genug zeigen und erklären, was ich aus der Vergangenheit kenne. Was die Anlagen am Rosengarten, am Bismarckplatz und am Kaufmannswall betrifft, so hat man einen guten Eindruck, denn überall gibt es Blumen und Bänke, und es herrscht Sauberkeit. Besonderen Gefallen finden wir an den Stolpe-Anlagen und um den Fischmarkt herum mit Mühlentor, Herzogsschloß und Schlosskirche.

Das Elternhaus.

Am nächsten Tag machen wir uns auf den Weg zu meinem Elternhaus in der Günter-Roß.-Str. Noch sehr vertraut ist mir der Birkower Weg mit seinen Mietshäusern an der einen Seite und den Schatten spendenden Ahornbäumen am Straßenrand. DiElternhaus in der Günter-Roß.-Str.e Fleischerei an der Ecke Sophienstraße existiert sogar noch, und schräg gegenüber beginnt in sanfter Steigung schon die Günter-Roß-Straße. Um wie sind  entsetzt, wie ungepflegt, ja verwahrlost das Grundstück aussieht, das einst unter der Pflege der Eltern das schönste Haus der Siedlung war – kein Zaun, kein Vorgarten mit Blumen, dafür bröckelnder Putz am Giebel, ungestrichene Fenster und die im Verfall begriffene Veranda. P1020840Ein Glück, dass den Eltern dieser Anblick erspart bleibt. Während wir dort fassungslos stehen, werden wir von  einer Frau des  Nachbargrundstücks in mäßigem Deutsch aber freundlich angesprochen, ob wir hier etwa gewohnt hätten. Nachdem ich es bejaht habe, erklärt sie uns, dass dort in der Nr. 9 schlechte Menschen wohnen, mit denen nicht einmal sie selber Kontakt hätte. Wenn wir wollten, könnten wir zu ihr herein kommen, sie würde uns das Haus zeigen, das ja von gleicher Konstruktion ist wie die Nummer 9. Wir freuen uns natürlich über die Einladung, und ich kann meinen Lieben doch noch die einzelnen Räume zeigen und erklären, wie es bei uns drüben in diesen Räumen ausgesehen hat. Von hier aus sieht man auch, dass die Grundstücke  der Günter-Roß-Str. um die Hälfte kleiner geworden sind und auf dem frei gewordenen Land vierstöckige Wohnblocks unmittelbar an die Gärten grenzen. Wir bedanken uns bei der freundlichen Polin und gehen schnell zurück in die Stadt. Die Enttäuschung über das Wiedersehen mit dem Elternhaus will lange  nicht weichen, und ich beschließe, mir diesen Anblick für die Zukunft zu ersparen, den Eltern aber keine dieser deprimierenden Details über den Zustand des Hauses zu schildern.

In Stolpmünde

STOLPMÜNDE Am nächsten Tag fahren wir nach Stolpmünde, genießen bei Sonnenschein den schönen Strand, gehen auf die Mole hinaus, spazieren im Hafen umher, wo mein Großvater vor mehr als einem halben Jahrhundert als Dockarbeiter sein Brot verdiente. Am Nachmittag desselben Tages fahren wir nach Freichow und Neustrand. In Freichow stehen zwar noch die Häuser, in denen die evangelische Kirche Sommerferienlager unterhielt, an denen auch meine Schwester  teilgenommen hat, doch die Häuser sind leer, und es herrscht eine beängstigende Stille.  Nicht viel anders erleben wir Neustrand, obwohl hier einige Häuser bewohnt sind und auch Sommergäste zu sein scheineSTOLPMÜNDEHAFENEINFAHRTn. Unten am Strand überrascht uns der Anblick eines gestrandeten U-Bootes, das in seinen Formen noch gut als solches zu erkennen ist. Vorsichtshalber halten wir Abstand zu ihm, denn man kann ja nie wissen …

Zweifelhafte Bekanntschaft  im Dorf Horst

Dorf HorstAm dritten Tag unseres Aufenthaltes in der Heimat suchen wir die Dörfer auf, in denen meine Eltern geboren wurden. Von der Entfernung her ist das Dorf Horst, aus dem mein Vater stammt, das nächste. Über Brüskow und Friedrichstal gelangen wir dorthin, wobei das letzte Stück durch den Wald eine ganz schlechte Wegstrecke für ein Auto ist. Horst heißt nun Pemplino, mit dem Namen hat sich auch der Ort verändert, wie es scheint. Hier und da Ruinen von Gebäuden, zugewucherte Gärten, Menschenleere, obwohl Alltag ist. Etwa in Dorfmitte taucht die kleine Schule in Fachwerk auf; von hieraus biegen wir in eine schmale Straße ein, die zum Dorfteich führt. Hier direkt am Teich steht dasP1020834 kleine großelterliche Gehöft. Ich erkenne es kaum wieder, so heruntergekommen sieht es aus: leere Fensterhöhlen im ersten Stockwerk, keine Farbe auf den Brettern, defektes Dach, das Hoftor verriegelt, die Straße verdreckt , der Teich schmutzig und sein hohes Ufer unbefestigt und bröckelig. Ich mache schnell ein Foto  und treibe zur Eile an, das Auto wieder zu besteigen und fortzufahren, als von einem plötzlich auftauchenden Panjewagen ein bärtiger Mann zu uns herüberruft, was wir hier wollen. Horster PoleIch rufe zurück, dass hier meine Großeltern, meine Tante und meine Cousine  gewohnt haben.  Seine nächste Frage besteht aus zwei Namen: Lilly und Marianne, die Namen meiner Cousine und deren Tochter. Man merkt ihm seine Freude darüber an, als ich bestätige, dass es sich um diese Personen handelt, und er lädt uns zu sich nach Hause ein. Auf mehr Einzelheiten neugierig, stimmen wir zu. Zu meiner Überraschung führt er uns zum ehemaligen Gasthof Walter, das mir bekannt ist, weil die Söhne  Arbeitskollegen von meinem Vater in der Tischlerei Walter gewesen waren. Wir bekommen Tee vorgesetzt, während uns der Mann voller Stolz seine deutschen Bücher,  u.a. einige von Erich  Edwin Dwinger, zeigt und auf die schlechten Verhältnisse in P1020829Polen schimpft. Er verrät uns auch, dass er bei der Anders-Armee war und auf der Seite Hitlers gekämpft hatte. Ich gestehe, ganz geheuer war mir nun beim Zuhören nicht mehr. Dennoch fragte ich ihn, ob ich wohl zum Dorfausgang gehen könnte, um dort noch ein Foto vom Gehöft meines Onkels zu machen. Er meinte, das sei doch selbstverständlich, und ich ging los.

Die Verhaftung

Unterwegs fiel mir auf, dass ich einer Menge Leute begegnete, die mir alle nachzuschauen schienen. Noch dachte ich mir nichts dabei. Das änderte sich, als ich zurückkehrte und vor dem Haus das halbe Dorf versammelt sah, ein Milizauto neben unserem Auto stand und meine Frau mir aufgeregt verkündete, dass wir verhaftet seien und ihr schon der Ausweis abgenommen worden war. Ich kam erst gar nicht zur Antwort, weil einer der Milizionäre mich barsch aufforderte, das „Dokument“ herzugeben. Da er polnisch sprach, tat ich erst einmal so, als ob ich ihn nicht verstünde und sagte dann strikt „nje!“ . Ein zweites „Nje!“ bekam er von mir, als meine Frau in das Milizauto einsteigen sollte. Ich bugsierte sie einfach in unser Auto, basta! Die uns umgebende Menge verfolgte das Geschehen interessiert und sichtlich befriedigt. Nur unser Gastgeber stand wie ein armer Sünder daneben und diskutierte mit den Polizisten, doch vergeblich. In der Menge hatte ich schon längst den Denunzianten entdeckt, er hatte sich „stadtfein“  gemacht mit Mantel und Mütze  und wartete auf die Abfahrt. Mir wurde bedeutet, dass ich voraus fahren sollte in Richtung Stolpmünde, das Milizauto folgte uns in kurzem Abstand. Vor dem Ortseingang Stolpmünde überholte uns das  Milizauto und stoppte mich. Ich konnte es nicht verhindern, dass sich einer der Milizionäre neben mich drängte, und meine Frau auf den Rücksitz verbannte.

Das Verhör

Nach kurzer Zeit hielten wir vor der Milizstation. Dort pflanzte sich einer der Milizionäre neben unserm Auto als Wache auf, offensichtlich hatten sie Bedenken, dass wir fliehen würden. Ebenfalls auf dem Bürgersteig tat sich der Denunziant wichtig. Nach ziemlich langer Wartezeit tauchte eine nicht mehr ganz junge Polin auf, die sicherlich als Dolmetscherin geholt worden war. Dann wurden wir alle in das Dienstgebäude gerufen, wo ein älterer Milizoffizier uns kurz begrüßte, was durchaus nicht unhöflich klang. Ehe er etwas sagen konnte, legte ich gleich los und erklärte, dass ich einen Rechtsbeistand aus der DDR fordere, weil ich hier außerhalb aller Gepflogenheiten gegen Recht und Gesetz   behandelt würde. Das sagte ich auch ziemlich laut und nicht im geringsten unterwürfig oder ängstlich. Der Offizier liess mir durch die Dolmetscherin sagen, dass ich  ihn erst einmal anhören sollte. Er ließ mir nun erklären, dass ich dort im Darf Pemplino Fotos gemacht hätte, was nicht erlaubt sei. Natürlich protestierte ich dagegen heftig und bedeutete ihm, dass ich auch in Stolp ganz öffentlich fotografiert hatte, ohne dass es jemanden gestört hätte und wollte von ihm wissen, welches die gesetzliche Grundlage für das Foto-Verbot in Polen sei, ich wollte das Gesetz gezeigt bekommen. Der Offizier war sichtlich verlegen, war er doch im Unrecht, er schränkte ein, dass sich das Verbot auf die Dörfer beziehe, wo es viele „bauliche“ Mängel gäbe, die von deutschen Touristen fotografiert und diese Fotos dann an die Bildzeitung in Westdeutschland verkauft würden, um dort für revanchistische Hetze gegen Polen missbraucht zu werden. Überall sonst könnte man natürlich fotografieren. Er wollte noch wissen, was ich denn abgelichtet hätte. Ich erklärte ihm, dass ich den Teich mit dem großelterlichen Haus und die Schule als familiäres Andenken  fotografiert hätte, womit er sich zufrieden gab und offensichtlich erwartete, dass auch ich nun still wäre. Den Gefallen tat ich ihm schließlich, fragte ihn aber, ob wir erneut verhaftet würden, wenn wir nach Dünnow zurückfahren würden, wo sich das Elternhaus meiner Mutter  befindet. Er versicherte uns mehrmals, dass dies nicht der Fall sei, wenn wir keine Fotos machten. „Auch nicht von der Kirche?“ fragte ich zurück. Nein, die Kirche könnten wir fotografieren „…aber sonst nichts!“ Damit waren wir entlassen und der Milizoffizier war sichtlich erleichtert. Ich vermute sogar, dass dieser Denunziant sogar noch einen Rüffel für seinen  patriotischen Übereifer bekommen hat, denn er wurde während der gesamten Verhandlung überhaupt nicht gefragt. –

Unerwartete Freundschaft In Dünnow

Kirche Dünnow 1Wir wendeten also unser Fahrzeug und fuhren nach Dünnow zurück. Dort stellten wir das Auto vor dem Dorfkrug ab und gingen einmal um die Kirche herum, in der die Eltern getauft, eingesegnet und getraut worden waren. Mit Bedauern stellten wir fest, dass die Kirchentüren verschlossen waren und es somit keinen Blick in das Innere gab. Wieder beim Auto, sahen wir dort viele Leute, was uns nach dem vorhergehenden Erlebnis natürlich beunruhigte. Ehe wir jedoch ins Auto steigen konnten, rief ein älterer stoppelbärtiger Mann zu uns herüber: “Was wollt ihr hier?“ Ich antwortete auf diese eher bedrohlich als einladend klingende Frage schnell, dass hier meine Mutter geboren sei und mein Onkel einen Bauernhof  hatte. Er wollte den Namen des Onkels wissen, – und als er ihn vernahm brach er förmlich in einen Freudenschrei aus: „Oh, Fritz Duske! War mein bester Freund. Ich mit Fritz  beim Russen Pferde geklaut. Fritz Duske guter Mensch! Kommt Ihr seid meine Gäste!“ Es nützte nichts, wir mussten mit ihm gehen und uns mit frischer  Milch und Brot bewirten lassen. Er erzählte uns, dass er der Bürgermeister von Dunninowo sei. Voller Stolz zeigte er uns seine „Kanzlei“, die aus einer einzigen Schublade mit ein paar Karteikarten und Heften bestand. Ein weiteres Stück aus der deutschen Zeit war ein Rundfunkempfänger auf seinem Schreibtisch.

Meine ungewollte Agitation unter den Bauern 

Inzwischen hatten sich in der Stube nebenan eine beträchtliche Anzahl Männer versammelt, zu denen ich gebeten wurde, um ihnen etwas über die Landwirtschaft in der DDR zu erzählen. Aktuelles Thema für die Polen damals war das Problem: Kollektivierung oder nicht. Ich berichtete so weit ich dazu in der Lage war und stellte die Entwicklung zu LPGs in der Landwirtschaft der DDR im positiven Lichte dar. Aus meiner Sicht verhielt es sich auch so, denn unsere Bauern waren im Vergleich mit  den Polen reich, die meisten bei uns fuhren eigene Autos;  Motorräder und Mopeds waren selbstverständlich, desgleichen moderne Radios und Fernseher. Das alles gab es in Polen auf dem Lande damals nicht. Kein Wunder, dass mir die anwesenden Polen meine Ausführungen nicht so recht glaubten.  Übrigens, eine Kollektivierung im großen Maßstab wie in der DDR hat es in Polen ja nie gegeben.

Der Priester

Nach dieser „Aufklärungsaktion„ bat ich den Bürgermeister, ob er uns nicht mit dem Herrn Pfarrer bekannt machen könnte, weil wir die Kirche gern von innen sehen und einen Blick in die deutschen Kirchenbücher tun wollten. Unser Wunsch wurde prompt erfüllt. Von einer Kinderschar begleitet zogen wir zum Pfarrhaus, wo wir freundlich begrüßt wurden. Die polnische Kirche muß damals wohl nicht reich gewesen sein, denn der Pfarrer sah  ärmlich aus in seiner schäbigen Soutane, den ausgefransten Hosen und schiefgetretenen Absätzen der Schuhe. Wie selbstverständlich kamen die Kinder mit in die Kirche, nahmen in den Bänken Platz und beobachtKirche Dünnow 2eten, wie wir in den Kirchenbüchern blätterten, um die Eintragung von der Trauung meiner Eltern zu finden. Leider sprach der Pfarrer nicht Deutsch und auch keine andere Fremdsprache, er ließ uns aber durch den Bürgermeister sagen, dass wir uns nach dem letzten Dünnowschen Pfarrer erkundigen sollten, weil er diesem gern die Kirchenbücher schicken wollte.

Grüße und Wünsche an Dora

Auf dem Rückweg von der Kirche ließen wir uns noch zum Gehöft von Fritz Duske führen. Es sah dort noch so aus wie früher, wenn auch der Zahn der Zeit dort wie überall schon genagt hatte: die schöne überbaute Toreinfahrt, das strohgedeckte und weißgetünchte Fachwerkhaus gegenüber, die Wirtschaftgebäude an den Seiten und der große Misthaufen in Hofmitte. Wegen der großen Wasserpfütze im Eingangstor wollten wir den Hof nicht betreten; die Bewohner aber waren uns entgegengekommen und fragten, wie es Dora und den Kindern gehe; damit war die Schwester meiner Mutter gemeint, die hier 1945 in der kritischen Zeit Unterschlupf gefunden hatte. Und ob sie, Dora,  nicht Rasierklingen, Pfeffer, Schokolade und andere Kleinigkeiten schicken könnte. Nun wurde es Zeit für uns, nach Stolp zurückzukehren. Nach herzlicher Verabschiedung durch den Bürgermeister fuhren wir unbehelligt nach Stolp zurück, froh darüber, dass dieser unangenehme Zwischenfall mit der Verhaftung durch die schönen Erlebnisse in Dünnow allmählich verblasste. –

Kluken – deutsch oder polnisch?

Kluken - deutsch oder polnischAm nächsten Tag machten wir uns auf nach Klucken am Lebasee, wo es laut Auskunft unseres Hotelportiers Räucheraal geben sollte. Nach einer Fahrt durch das landschaftlich überaus reizvolle Strandseengebiet von Garder- und Lebasee kamen wir nach Klucken, wo ich mich mit meinem dürftigen  Polnisch bis zum Fischer am Ende des Dorfes durchfragte. Wie staunte ich, als mir der Fischer auf meine Frage in Polnisch auf Deutsch anwortete:“Ich bin der Herbert. Du kannst ruhig Deutsch reden, wir sind hier fast alles Deutsche, die haben uns hier am Arsch der Welt 1945 vergessen auszuweisen, und nun sollen wir hierbleiben, wenn es nach dem Polen geht. Ja, Aal kannst Du kriegen, musst aber morgen kommen, denn ich fahre erst heute Nacht auf Museumshäuser Fang raus.“  Wie erstaunt waren wir doch, als sich die Aussage von Herbert bestätigte und wir uns fast wie in einem deutschen Dorf fühlten, wo die Kinder Karin, Mariechen, Helga, Heinz, Hans, Peter und Dieter hießen und einige von ihnen mit unseren Töchtern Freundschaft schließen wollten. Hier im Ort befand sich auch das slowinzische Heimatmuseum, wo uns die freundliche Betreuerin der zwei Museumshäuser gleich zum Bleiben einlud. Wir holten unser Gepäck aus Stolp und durften auf unseren Luftmatrazzen sogar im Museum schlafen. Frau Natzschke war Polin, die einen Danziger geheiratet hatte, weshalb sie ganz gut Deutsch sprach. Sie und ihr Mann waren sehr freundlich, wir wurden dort sogar verköstigt. Ich kann mich heute noch an die wohlschmeckenden Kartoffeln aus der sandigen Moorerde und die selbstgemachte Butter und Quark erinnern. Auch unseren Kindern gefiel es dort gut, hatten sie doch einen Hund zum Spielen und Gänse und Hühner zu betreuen und das Erlebnis zu beobachten, wie man aus Milch Butter und Quark macht. Übrigens bezogen wir dort einige Jahre später erneut Quartier, diesmal im Wohnhaus.

Die Lonzker Düne

ELonzker Dünein ganz tolles Erlebnis hatten wir dort in Klucken noch: einen Ausflug  zu den hohen Wanderdünen die sich zwischen der Ostsee und dem Lebasee auf einer Strecke von etwa 10 km hinziehen. Hierzu fuhren wir morgens um 5 Uhr mit einem Motorboot mit, das in den Fischerdörfern anlegte und den nächtlichen Fang zur Genossenschaft nach Leba brachte. Wir staunten nicht schlecht, als wir all die Hechte, Aale und Zander sahen, die über Nacht in die Netze gegangen waren. Anton, unser Bootsführer setzte uns am anderen Ufer des Lebasees an Land und versprach, uns so gegen 5 Uhr nachmittags hier wieder abzuholen. Voller Erwartung begannen wir die Düne emporzuklimmen, was gar nicht so einfach war, weil der lockere Sand immer wieder nachrutschte. Schließlich standen wir oben, im Rücken den Lebasee und vor uns ein welliges Lonzker DüneDünengelände mit tiefen Tälern und Schluchten und den ganz in der Ferne gleissenden Wasserspiegel der Ostsee. Wir machten uns auf den langen Weg zur Küste und hatten das Vergnügen, die langen steilen Abhänge herunterzurutschen und dann den folgenden günstigen Aufstieg zur nächsten Höhe zu erklettern. Damals gab es noch keine festgelegten Wege wie sie im später zum Naturschutzgebiet erklärten Territorium Vorschrift waren. Als wir den Ostseestrand erreicht hatten, war es schon Mittag. Allein auf weiter Flur erfreuten wir uns an der Lebaseeunberührten Landschaft, genossen Sonne und Wind und das seltene Erlebnis unseres Ausfluges. Rechtzeitig machten wir uns auf den Weg zurück zum Lebasee und fanden auch gleich die Stelle, an der Anton uns wieder aufnehmen wollte. – Am Abend vor unserer endgültigen Abreise holte ich die Räucheraale bei Herbert ab. Es waren acht ziemlich große frisch geräucherte wohlriechende Aale, die Herbert mit der Bemerkung überreichte: “Aber heute man bloß einen Aal schlachten, sonst kriegt ihr die Scheißerei womöglich“, was wir auch beachteten, denn wir wollten ja viel von dieser Delikatesse mit nach Hause bringen und Schwester Anita und Schwager Arno unbedingt zu einem Essen mit Aal vom Lebasee einladen.

Ja, das war das Wiedersehen mit der Heimat rund 20 Jahre nach der Ausweisung. Insgesamt ein Erlebnis mit wechselvollen Eindrücken der Freude aber auch der Enttäuschung, wobei das weniger Schöne uns nicht davon abgehalten hat, in Abständen immer wieder einmal die Heimat aufzusuchen, ohne sie jemals ganz wiederzufinden.