Spukgeschichten aus Pommern

 

Vom Alf-Ziehen und anderen Gruselgeschichten im Hinterpommern meiner Jugend. 

Wie gerne hatte ich es doch, wenn meine Eltern gruselige Geschichten erzählten, die sich alle in ihren Heimatdörfern Horst bzw. Dünnow im Landkreis Stolp zugetragen haben sollen. Als ich dann größer war, zog ich manches davon in Zweifel, versuchte sogar eine natürliche Erklärung dafür zu finden, was meine Eltern für Spuk und Übernatürliches hielten. Aber selbst heute kann ich einiges nicht einordnen, ob es sich bei diesen geschilderten Ereignissen um Tatsachen gehandelt haben könnte oder die Einbildungskraft Dinge nur vorgespiegelt hatte, denen eigentlich eine natürliche Ursache zu Grunde lag. Einerlei, auch dieses Thema gehört zur Heimatpflege, erzählt von unseren pommerschen Vorfahren, wie sie lebten, wie sie dachten, was sie in ihrer Zeit bewegte.

Der leuchtende  Alf um Mitternacht

Gern hörte ich immer wieder die Geschichte vom Alf-Ziehen. Das trug sich folgendermaßen zu. An einem lauen Sommerabend, schon nahe der mitternächtlichen Stunde, saß die Horster Dorfjugend wieder einmal am Teichufer und vertrieb sich die Zeit mit allerlei Kurzweil. Wie mein Vater erzählte, wurde es ganz plötzlich am Himmel hell von einer Feuerkugel, die einen Schweif von weiteren Kugeln hinter sich her zog. Alle schauten gebannt auf dieses unerwartete Schauspiel am Himmel. Und wer nun darauf hinzeigte und sich dazu äußerte, für den war die Himmelserscheinung eben so plötzlich verschwunden, wie sie gekommen war, während die anderen das Schauspiel weiter verfolgen konnten. Wie ich das einschätzte konnte das nur ein Komet gewesen sein; wie aber ließ sich erklären, dass er für den vorlauten Beobachter verschwand und die übrigen ihn weiterhin  sehen konnten? Wo liegt hier die Wahrheit, was ist Phantasie? Obwohl ich den Teil der Geschichte vom willkürlichen Verschwinden der Himmelserscheinung für einen Teil der Zuschauer meinem Vater gegenüber stark anzweifelte, vermochte ich ihn nicht von seiner Überzeugung  abbringen, dass es sich so und nicht anders zugetragen hatte. –

 

Der „Schwarze“ Alf in früher Morgenstunde

 Es gab noch einen weiteren „Alf“ in den Erzählungen meines Vaters. Diesmal war es aber der „Schwarze Alf“, den mein Großvater als überdimensionale Erscheinung im Morgengrauen auf seinem Weg nach Stolpmünde in den Weidenbäumen  am Wege gesehen hatte. Er soll ihm wohl von Weide zu Weide hüpfend gefolgt sein, so dass dem Großvater das kalte Grauen angekommen war, wie er später berichtete. – War es vielleicht doch nur Nebel? –

Der Alf, der kein Alf war

Mit dem Alf wurde aber auch Schabernack getrieben. So hatten sich ein paar Dorfburschen eines Abends vorgenommen, ihrem großmäuligen Nachbarn einen Schabernack zu spielen. Mit einem Bettlaken versehen legten sie sich auf die Lauer, bis der besagte Nachbar aus dem Dorfkrug heraus wankte und nach Hause torkelte. An einer dunklen Ecke sprang ihm plötzlich eine weiße Gestalt auf den Rücken und raunte ihm auf Plattdeutsch zu:“Nu häw ik di, du oll Muhlheld“. Worauf der „Maulheld“ in Panik mit dem vermeintlichen Alf auf dem Rücken nach Hause trabte so schnell er nur konnte. Kurz vor dem Hoftor sprang der „Alf“ ab und verschwand in der Dunkelheit, während der zu Tode erschrockene Gepeinigte sich noch lange nicht von diesem Schreck erholen konnte. Vor allem wollte ihm niemand glauben, was er da für ein Erlebnis gehabt haben wollte; alle meinten nur spöttisch: „Minsch, du waast doch bloot besoppe“. –

Spuk um Mitternacht

 Von  einem weiteren  gespenstigen Erlebnis wusste meine Mutter zu berichten. Die ganze Familie war in einem der Nachbardörfer von Dünnow zur Hochzeit gewesen und befand sich gegen Mitternacht auf der Rückfahrt. Dabei mussten sie durch den Wald, in dem es an einem Kreuzweg spuken sollte. Es war wohl gerade 12 Uhr, also der Beginn der Geisterstunde, als die Pferde zu scheuen begannen und der Bruder meiner Mutter, der den Wagen lenkte, auf einmal ein drittes Pferd vor dem Wagen sah, feurig leuchtend und mit Schaum vor dem Maul. Das Tempo des Wagens hatte sich plötzlich so gesteigert, dass alle dachten, der Wagen würde im nächsten Moment auseinanderbrechen. Der unglückliche Lenker des Wagens konnte kaum die Zügel in der Hand behalten, so stark war die Kraft der Pferde. „Er hatte kaum noch Fell in den Händen von den scheuernden Leinen“ höre ich noch heute meine Mutter sagen. Bis zum Waldrand raste das Gefährt so dahin, als das dritte Pferd wieder verschwunden war und das Gespann nun in gemäßigtem Tempo trabte, allerdings mit schweißnassen Flanken und Schaum vor dem Maul. Alle waren froh, dem „Leibhaftigen“ noch einmal entkommen zu sein. Mein stetiger Einwand am Ende des Erzählens wies darauf hin, dass im Wald irgend ein Tier die Pferde erschreckt haben könnte und das dritte Pferd vor dem Wagen ganz sicher das Produkt des vom Kümmel und Korn vernebelten Gehirns des Kutschers – denn nur der hatte mit Sicherheit dieses „Teufelspferd“ gesehen – gewesen war. Aber meine Mutter beharrte stets auf dem Wahrheitsgehalt ihrer Geschichte. So war das eben mit dem Geisterglauben! –

Die Macht des Aberglaubens im Alltag

 Ja, man war auf den hinterpommerschen Dörfern noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts vom Wirken übernatürlicher Kräfte überzeugt, obwohl am Beispiel der Familie meiner Mutter es am festen christlichen Glauben nicht fehlte. So wurde nicht nur täglich das Tischgebet gesprochen, man rief Gott auch in der Stunde der Not an. Wie meine Mutter erzählte, musste sich die Familie bei schweren Gewittern um den großen Esstisch versammeln, wo der Vater dann aus der Bibel vorlas, so lange das Unwetter tobte.  Glaube und Aberglaube schienen sich jedoch in den einfachen Gemütern der Menschen gelegentlich zu vermischen. So begab sich während des 1. Weltkrieges folgendes.  Eines Nachts wurde der Großvater durch lautes Klopfen an der Haustür geweckt. Aber es fand sich niemand, der Einlaß begehrte. Der Großvater sagte am nächsten Morgen:“Dat was urs Otto, hei hätt woll sin Lääwe för urs lotte mötte.“ Gemeint war der Sohn Otto, der sich als Soldat an der französischen Front befand. Und tatsächlich kam kurze Zeit darauf die Mitteilung, dass Otto genau an dem Tag gefallen war, an dem der Großvater das Klopfen in der Nacht gehört hatte. –

Was sich als Aberglaube äußerte, hatte seine Ursache wohl auch darin, dass man neben dem Guten im Menschen auch das Böse sichtbar und namhaft haben wollte. Dazu als Beispiel eine Begebenheit, die sich auf dem väterlichen Hof meiner Mutter zugetragen haben soll.  Wie gewöhnlich einmal in der Woche saß die Großmutter vor dem Haus und machte Butter, d.h. wie damals üblich in einem hölzernen Faß. Noch war die Butter nicht fertig, als über den Hof eine Frau aus dem Dorf kam, um etwas auszuborgen. Aus irgendeinem Grunde wurde ihr das aber verweigert, worauf sie den Hof mit dem „bösen Blick“ verließ. Erst jetzt erschrak die Großmutter, denn diese Frau war als Hexe im Dorf bekannt. Und ihre Vermutung bestätigte sich, als sie in das Butterfaß schaute. Verschwunden war die Butter, und an deren Stelle befand sich nun ein Haufen Kuhmist im Butterfaß. Schnell eilte die Großmutter zu einem Mann im Dorf, dem man übernatürliche Kräfte zuschrieb und erzählte von der verhexten Butter. Offensichtlich wurde der Mann öfter zur „Entzauberung“ von Hexenkunststücken gerufen, denn er kam sofort mit, besprach in geheimnisvoller Weise das Butterfaß, über das er vorher noch ein besonderes Tuch gebreitet hatte, und danach war das Faß wieder mit schönster Butter gefüllt. Ich pflegte dann am Ende der Erzählung meine Mutter ein bisschen spöttisch zu fragen, ob denn diese Butter nicht nach Kuhmist geschmeckt hätte, worauf meine Mutter stets vorwurfsvoll zu antworten pflegte:“Ja, du glaubst das wieder nicht. Aber ich bin doch dabei gewesen. Alles ist wahr daran“. –

Etwas Ähnliches passierte auch auf dem elterlichen Hof meines Vaters. Seine Mutter hielt gerne Federvieh. Eines Tages, als sie beim Füttern von Entenkücken war, kam eine als Hexe verschrieene Frau über den Hof; und so wie sie an den Kücken vorbei ging, fielen sie um und lagen leblos da. Aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass Vaters Mutter ein Gegenmittel wusste. Nämlich, schnell holte sie ihren guten schwarzen Rock aus der Stube und steckte ein Kücken nach dem anderen durch den Rock hindurch, worauf diese sich am anderen Ende wieder auf die Beine stellten und munter weiter fraßen. Ja, man musste eben nur wissen, wie es gemacht wird! – Den Gipfel dieses „Zauberkunststückchens“ erlebte dann eines Tages meine Schwester. Sie war nämlich krank geworden, und man wusste nicht, was man zu ihrer Genesung tun konnte, bis meine Großmutter dann meinte: „Off wie sei moal dürch´n Rock stecke?“ Und so geschah es denn. Sie wurde wie die Entenkücken durch den Rock geschoben. Ob sie danach wieder gesund war, weiß ich nicht; aber diese Geschichte wurde später noch oft im Kreise der Familie erzählt und natürlich reichlich belacht. –

Besprechen kurierte Vieh und Mensch

 Dass man früher krankes Vieh besprach, statt den Viehdoktor zu holen, war gang und gäbe. Diese Heilkunst beherrschten  aber nur wenige. Es handelte sich wohl auch um etwas Seriöses, denn ich weiß selber, dass auch in unserer modernen Zeit das Besprechen noch praktiziert wird; ich kenne auch einige Fälle, wo die Gesichtsrose auf diese Art und Weise geheilt worden ist. Ein typisches Beispiel für Aberglauben aber geschah ebenfalls auf dem elterlichen Hof meines Vaters. Seine Schwester, in deren Besitz der Hof übergegangen war, hatte ständig Pech mit dem Vieh, es gedieh einfach nicht, und man schob es darauf, dass das Unheil in irgendeiner Gestalt durch die Tür in den Stall gelangte. Also musste die Tür präpariert werden, damit kein Unheil mehr zu den Tieren gelangen konnte. Man besorgte Quecksilber, wickelte dieses in einen knallroten Lappen, der dann unter der Türschwelle  vergraben wurde. Ich erspare mir hierzu einen Kommentar, weil bereits mein Vater, der diese Geschichte  erzählte, den Kopf über so viel Einfalt schüttelte. –

Beliebt waren auch das 6. und 7. Buch Moses. In ihnen gab es wohl Vieles, das die Phantasie zum Hang nach Übersinnlichem anreizte. So konnte man sich angeblich unsichtbar machen, wenn man es schaffte, in der Geisterstunde auf dem Friedhof eine schwarze Katze zu fangen, dieselbe zu töten, abzuhäuten, zu kochen und das Fleisch abzunagen, bis man einen ganz bestimmten Knochen fand. Das hatte aber noch niemand geschafft; mich aber  hatte es sehr beeindruckt, wann  immer davon erzählt wurde.

Wie gerne lauschte ich doch solchen Gesprächen und Erzählungen, wenn ich dort auf dem Dorfe meine Ferien verbrachte. Besonders mein um etliche Jahre älterer Cousin hatte es darauf abgesehen, mir das Gruseln beizubringen, meistens wenn wir schon im Bett lagen und draußen der Wind heulte und drinnen  die Holzwürmer laut im Dachgebälk nagten. Als Drohung für Dinge, die ich nicht tun sollte, galt immer die Bemerkung: „Dich holt sonst der Mort“.  Oder wenn ich Grimassen hinter jemand her schnitt, wurde ich gewarnt, dass mein Gesicht so stehen bleiben würde, wenn dann gerade die Uhr schlägt. Das war so schauerlich interessant, dass ich es eines Tages sogar ausprobierte und beinahe enttäuscht war, als nichts mit meinem Gesicht passiert war. – Abgesehen von diesem Spukkram  waren die Ferienerlebnisse auf dem Dorf für uns Stadtkinder so abenteuerlich schön, dass ihre Zauberkraft auch heute noch beim Erinnern wirksam ist. Es ist kaum zu glauben, dass seit jener Zeit nun schon viele Jahrzehnte vergangen sind, in denen sich wesentliche Dinge in unserem  Leben verändert haben. Nicht verändert aber hat sich die Erinnerung an diese schöne Zeit in Hinterpommern, sie wird bis ans Ende unserer Tage bleiben – und hoffentlich auch in den nächsten Generationen noch weiter leben .